Unsere Stadt ist heute viel bunter als vor einem Jahr, reicher an Farbe, Kultur und Sprache. Viele neue Menschen sind hier angekommen. Wir haben lange überlegt, wie wir uns der Thematik annähern können. Und dann lernten wir Lana kennen. Lana kommt aus Syrien, ist sechszehn Jahre alt und lebt seit sechs Jahren in Deutschland. Das Interview mit ihr macht jede Gedankenspiele unsererseits unnötig, denn ihre Antworten bringen es auf den Punkt. Aber lest selbst.
Wie war das Ankommen in Deutschland für dich?
Sehr komisch. Wir haben uns hier alles ganz anders vorgestellt. Wir wohnten in einem grauen Block, der Schnee lag bestimmt einen Meter hoch als wir in unserem neuen zu Hause ankamen und wir hatten Angst vor dem Hund unserer Nachbarn. Der hat immer so laut gebellt. Auch das Essen war natürlich anders. Als ich nach Sachen-Anhalt gekommen bin, gab es hier außerdem sehr wenige Ausländer. Wir wohnten erst in Burg und dann in Magdeburg. Ich weiß, dass ich am Anfang öfter geweint habe, weil ich die Menschen nicht verstanden habe. Etwas später wusste ich dann, was los war, aber ich konnte mich nicht ausdrücken.
War es für dich sehr schwierig, dich in Deutschland zurechtzufinden und die Sprache zu lernen?
Nein, es hat mir Spaß gemacht. Mir hat es sehr gut gefallen eine neue Sprache zu lernen und mich hier zu integrieren. Im ersten Jahr war ich so beschäftigt damit, dass ich nicht mal Heimweh nach zu Hause hatte. Vielleicht habe ich mich aber auch einfach nur gefreut meinen Papa wiederzusehen, der schon vier Jahre vor mir nach Deutschland gekommen ist. Ich war sehr stolz, meinen Eltern meine Fortschritte präsentieren zu können. Nach sechs Monaten habe ich die Sprache dann so gut beherrscht, dass ich alles verstanden habe und auch das sagen konnte, was ich wollte.
Welche Unterschiede sind dir zu Syrien aufgefallen?
Eines ist mir sofort aufgefallen, dass die Familien sich hier mit der Zeit auseinanderleben. Das gibt es bei uns nicht. Die ganze Familie wohnt bei uns normalerweise in einer Stadt. Sie hält zusammen und trifft sich täglich. So ähnlich, wie es hier nur zu Weihnachten ist, ist es bei uns das ganze Jahr. Allein meine Mama hat sechs Schwestern und drei Brüder und jeder von ihnen hat mindestens fünf Kinder. Es war immer so viel zu tun. Deshalb war es am Anfang auch komisch, in Deutschland nur noch zu fünft zu sein.
Ist ein Teil deiner Familie noch in Syrien?
Meine Oma ist noch in Syrien. Sie lebt. Aber ich weiß nicht, ob man das Leben nennen kann. Wenn man nie sagen kann, ob man den nächsten Tag überlebt. Die meisten sind in die Türkei oder in den Libanon geflüchtet. Das ist von der Sprache einfacher und sie wollten den langen Weg nach Europa nicht riskieren.
Was rätst du Flüchtlingen die neu in das Land kommen?
Sie sollten offen auf die Dinge zugehen, Respekt zeigen und die Chance nutzen und lernen, einen guten Abschluss anstreben und dann eine Ausbildung oder ein Studium beginnen. So wie sie es auch in Syrien gemacht hätten. Und das mit der Sprache nicht aufgeben. Jeder Anfang ist schwer. Und vergesst nicht, wo ihr herkommt. Man hat die Heimat verlassen, da ist die Erinnerung, das Einzige was bleibt.
Was hältst du von den Flüchtlingen, die hier herkommen und offenbar weniger Integrationswillen zeigen?
Dabei muss man immer den einzelnen Menschen betrachten, aber ich denke, dass Leute, die hier herkommen und in ihrer Heimat wenig Freiheiten hatten zügelloser reagieren. Man hat ein Bild von Europa, das einen schneller dazu bringt Blödsinn zu machen, besonders wenn man gerade in der Pubertät ist. Sie interpretieren das Wort Freiheit falsch. Deutschland ist für sie dann ein Raum voller Süßigkeiten von denen sie probieren wollen. Aber am Ende ist es eine Frage der Erziehung. Ich sage immer, die Leute hätten sich sicher auch in ihrer Heimat schlecht verhalten. Das ist eine Frage der Moral.
Musstest du dich in Deutschland je Anfeindungen aussetzen?
Ja, man hat uns Eier an unsere Fenster geworfen. Und einmal wurde ich mit meiner Mutter im Bus angesprochen und gefragt, was wir denn in diesem Land wollen. Als wir aus dem Bus ausgestiegen sind, musste ich weinen. Es ist sehr erniedrigend so etwas zu hören. Ich verstehe einfach nicht, warum Menschen den Hass an einem einzelnen Menschen auslassen und sich dabei noch gut fühlen. Das ist schwach, finde ich. Einer der selber schwach ist, versucht so sein Ego zu polieren. Das ist erniedrigend für den der es sagt und für den der es sich anhören muss. Wenn diese Leute wirklich etwas gegen die Menschen haben, die hier herkommen, sollten sie sich doch lieber an anderer Stelle beschweren.
Was können die Einheimischen tun, damit sich die Flüchtlinge hier schnell wohlfühlen?
Die Leute ganz in Ruhe ankommen lassen. So, dass ihnen klar wird, ich bin in Sicherheit. Und ihnen zeigen, wie wichtig es ist, die Sprache zu lernen. Und sie sollten die deutsche Kultur kennen lernen, weil es hier viele schöne Dinge gibt. Außerdem nimmt es die Vorurteile, die es über das Land gibt und die es nun mal auch über jedes andere Land gibt. Offenheit ist natürlich auch wichtig. Und was immer geht: Einfach jeden Menschen anlächeln und ihm dadurch das Gefühl geben, hier willkommen zu sein. Nicht, dass er das Gefühl bekommt, dem Land eine Last zu sein.
Vermisst du deine alte Heimat? Was hat dir dort besonders gefallen?
Jedes Wochenende war eine Veranstaltung, auf der eine Sängerin gesungen hat. Für diese Veranstaltungen haben sich alle Frauen sehr hübsch gemacht, so als wollten sie auf eine Hochzeit gehen und alle haben zusammen getanzt, das war schön. So etwas habe ich nie wieder so erlebt. Und ich vermisse die Fastfood-Restaurants bei uns, also die kleinen Imbissstände auf den Straßen. Falafel zum Beispiel mag ich sehr gern. Die gibt es zwar mittlerweile auch in Deutschland, aber der Geschmack ist einfach anders, weil andere Gewürze verwendet werden. Eigentlich vermisse ich jedes einzelne Detail aus meiner Heimat. Genauso würde es mir aber auch mit Deutschland gehen, wenn ich für einen Monat in Syrien zu Besuch wäre.
Wo fühlst du dich mittlerweile mehr zu Hause?
Ich fühle mich nirgends so richtig zu Hause. In Syrien bin ich jetzt die Europäerin. Ich glaube, sie denken, dass ich meine Wurzeln vergessen habe, aber das stimmt nicht. In Deutschland falle ich hingegen durch mein Aussehen auf. Für mich ist Deutschland schon meine Heimat, aber das traue ich mich nicht laut zu sagen, weil ich nicht weiß, ob die Deutschen das anerkennen würden. Mir macht es auf der anderen Seite aber auch Spaß in zwei Kulturen zu leben und zu sehen, wie unterschiedlich die Menschen so ticken. (kp)
Lana ist vor sechs Jahren mit ihren zwei Brüdern und ihrer Mutter von Syrien nach Deutschland ausgewandert. Ihr Vater ist bereits vier Jahre vorher nach Deutschland ausgereist. In seiner Heimat wird er politisch verfolgt. Eigentlich dachte die Familie, sie wäre nur ein paar Monate voneinander getrennt. Doch die Auflagen verlangten, dass der Vater seine Familie versorgen, eine Wohnung sicherstellen kann und seine Frau die deutsche Sprache beherrscht. All das dauerte seine Zeit. Und so lebte die Familie vier Jahre voneinander getrennt.
Im Artikel "Wir sind dabei!" werden wir Geschichten von Integration erzählen und Projekte und Hilfsaktionen für Flüchtlinge vorstellen.