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Felix Koch beim Training mit Kindern
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Fotostudio Hoffmann
Felix Koch
Der Dirigent und Cellist Felix Koch ist Professor für Alte Musik sowie Konzertpädagogik. Im März leitet er das Projekt „Telemann für Schüler“ und möchte Grundschüler für Telemanns heiteres Intermezzo „Pimpinone oder Die ungleiche Heirat“ begeistern. Wir sprachen mit ihm über die Bedeutung von Musik und warum viele Familien eine Scheu davor haben gemeinsam zu musizieren. (ks)
Wie sind Sie selbst zur Musik gekommen? - Ich bin in einer musikalischen Familie groß geworden, mein Vater ist Blockflötist, meine Mutter war Chorsängerin. Das heißt, bei uns wurde permanent gesungen und musiziert.
Warum ist eine Frühförderung so wichtig und was kann mit Musik bei Kindern bewirken? - Musik ist grundsätzlich mit Emotionen verbunden, und die frühkindliche Phase hat sehr viel mit Emotionen und Bindungen zu tun. Musik kann hier viel an Sicherheit, Schutz und Geborgenheit geben und zeigt den Kindern, dass sie sich auf diese Weise auch emotional äußern können. Sie bekommen ein Mittel an die Hand, mit dem sie sich selber anders erfahren als über das Sprechen.
Macht es einen Unterschied, ob ich Musik höre oder selbst mache? - Das ist ein großer Unterschied. Kinder und Jugendliche sind es häufig nicht gewohnt, Musik nur zu hören. Es ist wichtig, dass die Kinder aktiv mit einbezogen werden und Teil der Musik werden. Das sieht man schon daran, dass Musik durch die emotionale Komponente Bewegungen in uns auslöst. Wenn Erwachsene sich hinsetzen und Musik hören, kann man oft beobachten, dass sie ganz unwillkürlich den Takt mit dem Fuß oder mit dem Finger auf dem Knie mitklopfen. Das sind die verkümmerten Anzeichen dessen, was wir im Kindesalter ganz natürlich bei Musik empfinden und ausleben wollen. Einem Kind zu sagen: hör der Musik zu und sitz still, ist deshalb eigentlich falsch, weil das Kind das noch nicht rational steuern kann.
Musikförderung wird oft mit der „Optimierung des Kindes“ begründet. Nun stellte der „Spiegel“ gerade eine neue Studie vor, die genau diesen Effekt bestreitet. Wie ist Ihre Sicht dazu? - Diese reine „Verwertbarkeit“ ist etwas, was ich nicht mag. Natürlich ist es so, dass die Konzentrationsfähigkeit gefördert wird, wenn man Musik spielt und anfängt Noten zu lesen. Die Übersetzung von Noten zu Instrument oder auch zur Stimme herzustellen ist eine wahnsinnige Konzentrationsleistung. Musik hat natürlich auch auf der sozialen Ebene eine Wirkung. Wenn man Musik in einer Gruppe macht, muss man sich einordnen, auf andere hören, Bezug nehmen auf die gemeinsamen Musikpartner. Soziale und kognitive Kompetenzen werden klar gefördert, aber ich mache nicht deswegen Musik! Sondern ich mache Musik, weil ich mich ausdrücken kann, weil sie mir emotional etwas bringt, weil ich mich anders begreife als Mensch und weil ich durch diese Musik etwas von mir preisgebe, was ich sonst gar nicht preisgeben kann. Über die Musik spreche ich emotional andere Menschen an und verbinde mich mit ihnen.
Wie erklären Sie sich den Widerspruch, dass wir auf der einen Seite überfüllte Musikschulkurse für Kinder haben, auf der anderen Seite aber hauptsächlich Rentner im Konzertsaal? - Das hat mehrere Ursachen. Zurzeit hat das Singen und Musizieren gerade für Kinder wieder Hochkonjunktur. Durch viele bundesweite Sing- und Musikprojekte in Kindergärten und Grundschulen begreifen Eltern, dass Musik etwas ist, was für Kinder wichtig ist, ihnen Spaß macht und sie fördert. Auch werden die eben angesprochenen kognitiven und sozialen Kompetenzen sehr stark durch die Medien transportiert und viele Eltern lassen sich davon leiten. Allerdings sind viele dieser Eltern keine Konzertgänger. Sie haben in ihrer Jugend keinen Zugang zum Format des Konzertes gefunden und sind es nicht gewohnt, Konzertmusik zu hören. Was die Übertragung auf die Konzerte für Kinder und Jugendliche betrifft, so muss man sagen, dass viele Konzerte noch nicht auf eine neue Form ausgerichtet sind. Wir brauchen für Kinder und Jugendliche andere Konzertformen. Das, was wir in Magdeburg mit „Pimpinone“ machen sind Formate, die ganz selbstverständlich werden müssten für Kinder und Jugendliche, um sie neu an Musik heranzuführen.
Bei „Pimpinone“, dem aktuellen Projekt von „Telemann für Schüler“, steht für die Kinder das Singen im Vordergrund. Tendenziell hat das unbeschwerte Singen bei Kindern und deren Familien, in den Kitas und vor allem auch in den Schulen abgenommen. Warum ist das so? - Meiner Beobachtung nach liegt das daran, dass auch die jetzige Elterngeneration verlernt hat zu singen. Dazu kommt - in den westlichen Bundesländern sogar noch mehr als im Osten -, dass es in den Schulen und Kitas ganz wenig Förderung in den frühen Jahren gibt. Die Kolleginnen und Kollegen dort benötigen oft Hilfe, den Kindern das Singen wieder beizubringen und zwar so beizubringen, dass sie das auch gerne machen. Dass sie Tonhöhen halten, einfache Melodien nachsingen, ein Rhythmusgefühl entwickeln und sich zur Musik bewegen können. Das sind alles Grundkompetenzen, die in den letzten Jahrzehnten verschütt gegangen sind, weil die Musikpädagogik der 70er Jahre immer mehr auf kognitive Rezeption gesetzt hat: Zuhören, sich über Musik unterhalten, sie wissenschaftlich betrachten. Die musikalische Praxis, also auch das Singen, wurde dabei in die zweite Reihe gestellt. Eine Entwicklung, die sich jetzt auswirkt, weil die Eltern das Singen nicht mehr weitergeben an ihre Kinder. Im Moment setzen sehr viele Institutionen auf die andere Ebene, auf die kognitive Kompetenzsteigerung. Da Musik nicht auf emotionaler Ebene erfahren wurde, wird ein anderes Argument herangezogen, nämlich ein rationales: Musik macht schlau.
Was erwartet die Kinder beim aktuellen Projekt „Telemann für Schüler“? - Ich habe lange überlegt, wie dieses Projekt mit dieser literarischen Vorgabe für Grundschüler umgesetzt werden kann. Wir haben hier den alten, reichen Pimpinone, der die junge Vespetta als Haushaltshilfe einstellt. Er verliebt sich und heiratet sie, weil er natürlich auch von ihr umgarnt wird, denn sie erhofft sich eine Festanstellung. Hier ergab sich dann die Frage, was wir als Kernaussage aus dem Stücke nehmen und für die Kinder transportieren. Wir haben uns darauf konzentriert, dass Frauen gleichberechtigte, selbstbewusste Partner in einer Beziehung sind.
Musikalisch haben wir das Original auf etwa 30 Minuten Musik aus der Oper reduziert. Der Rest des etwa einstündigen Programms besteht aus Beschreibungen, Erklärungen und Mitmachaktionen zur Musik.
Zentrum für Telemann-Pflege und -Forschung Magdeburg, Tel. 5406755, telemann@tz.magdeburg.de sowie www.telemann.org
Stand: Ausgabe Februar/März 2014