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Kindergarten
Eine gute Betreuung fürs Kind zu finden, ist eine Herausforderung. Wir stellen verschiedene Konzepte vor und haben mit Erziehern und dem Jugendamt über die aktuelle Betreuungssituation gesprochen.
Die derzeitige Lage macht es Eltern nicht besonders leicht, entspannt den Einstieg ins Berufsleben vorzubereiten, denn Betreuungsplätze sind Mangelware. Wir wollten mehr zu den Hintergründen dieser Situation erfahren, haben mit Erziehern gesprochen und dröseln auf, wie sich die Kita-Landschaft in der Stadt zusammensetzt.
Klären wir dafür zunächst ein paar Fakten: In Magdeburg gibt es momentan fast 100 Krippen und Kindergärten (Kitas). Hinzu kommen 77 Tagesmütter/-väter. Insgesamt werden 10.346 (Stand: Ende 2016) Babys und Kleinkinder extern betreut. Zwischen drei und sechs Jahren macht das rund 80 Prozent aus. Doch auf Grund der seit Jahren steigenden Geburtenzahlen und das hinzukommen von relativ vielen geflüchteten Familien haben immer mehr Eltern Probleme, rechtzeitig einen passenden Kita-Platz für ihr Kind zu finden.
Das Elternportal, was dabei maßgeblich unterstützen soll, sorgt bei vielen nur für zusätzliche Verunsicherung. Viele Eltern suchen deshalb außerhalb des Portals nach einem Platz. Anfang des kommenden Jahres soll dies nicht mehr möglich sein, dafür wird gerade an einer neuen Bedarfsliste gearbeitet, die die Reservierung eines Platzes ausschließlich über das Elternportal ermöglicht. Damit sollen auch zusätzliche Bemühungen der Eltern, um einen Platz in ihrer Wunschkita zu finden, unterbunden werden. Aktuell werden teilweise Bewerbungsunterlagen fürs Kind erstellt, Erzieher werden in regelmäßigen Abständen angerufen oder es wird sich bereits vorab für die Einrichtung engagiert. Grundsätzlich besteht zwar auch ein Recht darauf, auf Wunsch eine Tageseinrichtung mit speziellem Profil, mit besonderen Öffnungszeiten oder günstiger Lage zum Arbeitsplatz eines Elternteiles wählen zu können. Dies ist im Kinderförderungsgesetz (KiFöG), Wunsch- und Wahlrecht, § 3, vermerkt. Problem: freie Kapazitäten müssen natürlich trotzdem vorhanden sein. Daran mangelt es jedoch.
Anfang des Jahres klingelte das Telefon des Platzvermittlungsservices des Jugendamtes heiß; 300 Betreuungsplätze fehlten. Zahlen, die, die Stadt dazu veranlassten schnell Entscheidungen zu treffen. Freie Träger wurden gebeten, mehr Kinder als eigentlich angesetzt aufzunehmen, zwei Einrichtungen wurden kurzfristig in Betrieb genommen und neun Neubauten in Auftrag gegeben. Versprochen wurde, die fehlenden Plätze bis Ende des Sommers zu schaffen. Das Versprechen wurde eingehalten.
Die Bemühungen der Stadt stellen sich aus heutiger Sicht aber trotzdem als Tropfen auf den heißen Stein dar. Denn die Situation hat sich nochmal verschärft: aktuell werden noch 540 weitere Plätze benötigt (Stand Mitte September). Insgesamt möchte die Landeshauptstadt bis Ende nächsten Jahres 1.292 neue Kita-Plätze schaffen. Ob das reicht, ist unklar. Denn vom akuten Platzmangel sind vorallem ausländische Familien betroffen, wo auch noch Familienzuzüge folgen könnten. Der Oberbürgermeister sagt dazu ganz klar, dass er Eltern mit Arbeit bei der Platzvergabe bevorzugen würde. Auch der Platzvermittlungsservice entscheidet nach Priorität. Am Ende sprechen die Zahlen für sich: 453 ausländischen Kindern kann derzeit kein Betreuungsplatz angeboten werden. Und dabei leben nur etwas mehr als 1330 ausländische Kinder zwischen 0 und 6 Jahren in der Stadt. Die meisten davon werden auch die nächsten Jahre hier im Land bleiben. Für die Integration der Menschen und damit das gesamte Zusammenleben in der Stadt, ist ein Kita-Platz wichtig. Denn Familien, die sich in Deutschland integrieren wollen, sind darauf angewiesen, die Sprache zu lernen, um dann einen Job zu bekommen. Für solche Sprachkurse brauchen sie Zeit. Die Kinder können im Gegenzug in den Kindertagesstätten auch viel über die deutsche Kultur lernen und ihre Erfahrungen mit in die Familie tragen.
Auch beim bundesweiten Vergleich des Betreuungsschlüssels muss sich Sachsen-Anhalt immer wieder sehr weit hinten einsortieren und offenbart auch hier eine knappe Kalkulierung. Doch fairer Weise muss man sagen, dass Kinder in anderen Bundesländern in vielen Einrichtungen zum Beispiel oft nur bis zur Mittagszeit betreut werden. Es wird also viel weniger Personal gebraucht. Aktuell werden von einem Erzieher in Sachsen-Anhalt durchschnittlich sechs Krippenkinder bzw. zwölf Kindergartenkinder betreut. Auf Grund der starken Belastung, sind gerade die älteren Mitarbeiter bereits mit einer Halbtagsanstellung ausgelastet und nehmen oft trotzdem zusätzliche Überstunden auf sich, um Vorträge und Projekte vorzubereiten und den Entwicklungsstand der Kinder zu dokumentieren.
Nach wie vor fehlt den Erziehern ein Puffer, um die Vor- und Nachbereitung für die Kinder durchzuführen. „Wir versuchen nötige Freiräume zum Beispiel durch das Einspringen von Praktikanten zu schaffen.“, sagt Heidrun Skowronek, Leiterin des Kinder-Eltern-Zentrums Nordwest. Eine Notlösung, die am Ende versucht, die Lücken zu schließen, die sich durch finanzielle Engpässe und den zu niedrigen Betreuungsschlüssel auftun. Doch die Frage ist, wie lange spielen Mitarbeiter und Eltern da noch mit? Wie lange reichen die Kräfte? Es ist also dringend notwendig, mehr Personal finanziert zu bekommen. Bei der Überarbeitung des Kinderfördergesetzes im Herbst soll dieses Thema zumindest nochmal auf den Tisch kommen.
„Seit 2014 gab es generell keine Erhöhung der Finanzierung vom Jugendamt mehr.“, sagt Heidrun Skowronek. Den Grund dafür liefert sie direkt mit: „Die Stadt Magdeburg hat jahrelang keine eigenen Kindertagesstätten gehabt, weil sie dachte, dass sie mit der Aussonderung an private Träger am Ende Geld spart. Doch irgendwann wurde ihr die finanzielle Belastung zu groß und sie gründete selbst die ersten Einrichtungen, um herauszufinden, welche Kosten wirklich anfallen und diese Kostenrechnung auch auf die anderen Kindertagesstätten zu übertragen. Allerdings wurden dabei wichtige Finanzierungspunkte, wie Lohnunterschiede auf Grund der Arbeitsjahre, einfach außenvorgelassen.“ Seitdem müssen alle freien Träger mit den knapp bemessenen Beträgen auskommen bzw. sich bemühen andere Geldquellen aufzutun.
Insgesamt gibt es in Magdeburg, neben den drei kommunalen Kitas, elf kirchliche Träger, 24 freie Träger sowie vier nicht geförderte Einrichtungen. Die nicht geförderten Einrichtungen müssen sich komplett selber finanzieren, dadurch zahlen die Eltern hier schnell das vierfache an Betreuungsgeld im Vergleich zu den geförderen Einrichtungen. Über die pädagogische Ausrichtung der Kita entscheidet der Träger, in Abstimmung mit dem Kostenträger, also meist der Kommune. Mit der besonderen Ausrichtung der Einrichtung sollten die Eltern natürlich einverstanden sein. Bei einem kirchlichen Träger ist zum Beispiel klar, dass das Kind mit religiösen Inhalten konfrontiert wird.
Zu den bekanntesten Konzepten, die auch in Magdeburg angeboten werden, zählt die Waldorf-Pädagogik. Speziell dazu werden in der Stadt zwei Einrichtungen betrieben. Dem Kind soll hier ermöglicht werden, seine Selbstbildungspotentiale einzusetzen. Zur Förderung dieser Potentiale ist der Kindergarten reich an komplexen Anregungen und Erfahrungsmöglichkeiten. Vorbild und Nachahmung spielen eine wichtige Rolle. Sehr populär ist auch das Konzept von Maria Montessori. Nach dem Prinzip „Hilf mir, es selbst zu tun“ lernen Kinder hier, sich selbst zu entdecken, sich auszuprobieren, aber auch Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren.
Eine kulturelle Vielfalt bietet das Immersionsprinzip. Es ist im besonderen Maße für Kinder geeignet, die bereits zu Hause mehrsprachig aufwachsen. Dabei geht es darum, sich in fremde Sprachen, in das Lebensgefühl, in die Lebensgewohnheiten, Rituale und Gegebenheiten anderer Kulturen einzufühlen. In den Kindergartengruppen wird nicht nur Deutsch gesprochen. Es gibt auch Erzieher, die Englisch oder Französisch als Muttersprache mitbringen und sich in dieser Fremdsprache mit den Kindern unterhalten. Das trifft zum Beispiel auf die Trilinguale Kindertagesstätte oder auch die Bilinguale Deutsch-Französische Kindertagesstätte „AU CLAIR DE LA LUNE“ zu. Darüber hinaus bieten einige Kitas auch Englischunterricht für Vorschulkinder an. Für mehr Miteinander der Kulturen setzen sich auch Häuser mit dem Zertifikat WillkommensKita ein. Die Pädagogen werden dort geschult, um gemeinsam mit verschiedenen Netzwerken Menschen mit Migrationshintergrund zu integrieren.
Eine weitere pädagogische Arbeitsweise ist der offene Ansatz.. „Unsere Räume sind Angebotsträger. Jedes Kind kann nutzen, was ihm Spaß macht.“, erklärt René Seidler, Erzieher im Kindergarten Spielkiste. Die Erwachsenen kommunizieren hier mit den Kindern auf Augenhöhe und fordern ihre Meinung zu Themen ein. „Ein offenes Konzept heißt übrigens nicht, dass die Kinder herrenlos sind und keine Regeln kennen. Die Kinder sollen einfach nur wollen, was sie tun.“, stellt Seidler klar. Für den Nachwuchs soll die Kita ein Ort zum Wohlfühlen sein, wo sie schnell Vertrauen fassen und sich selbst finden können. Dafür ist es natürlich wichtig, dass sie auch eigene Entscheidungen treffen. Fühlt sich das Kind dabei überfordert, fungieren die Erzieher als Begleiter und unterstützen.
Ob Tanzkurse, Singen im Chor, Experimente, Sport AGs, Computerkurs, Schach oder Holzwerkstätten, die meisten Kindergärten verfügen über ein umfangreiches Angebot, das weit über das freie Spielen hinausgeht. Verschiedene Zertifizierungen, wie „Das Haus der kleinen Forscher“, „Sprach-Kita“, „Gesunde Kita“ oder „Bewegungsfördernde Kita“, stellen zusätzlich besondere Schwerpunkte der Kindertagesstätten heraus. Einige Kitas verfügen auch über zertifizierte Kneipp – Gesundheitserzieher oder vertrauen auf die Bewegungspädagogik nach Hengstenberg und Pikler. Außerdem gibt es elf integrative Kindertagesstätten in Magdeburg. Diese müssen bei der Erteilung einer Betriebserlaubnis, außer Erzieher, auch Fachkräfte mit anderen Professionen bspw. Heilpädagogen vorhalten.
Um das gesunde Aufwachsen der Kinder zu fördern verfügen manche Einrichtungen auch über eine eigene Sauna oder versuchen die sozialen Kompetenzen der Kinder durch das Halten verschiedener Tiere zu fördern. In der Kita am Salbker See gibt es zum Beispiel Kaninchen, Bartagamen, Wachteln, ein Chamäleon und Zierfische, die die Kinder pflegen und beobachten können. Wer möchte, dass sein Kind besonders naturnah aufwächst, findet in Magdeburg bisher keine Natur- oder Waldkita vor. Jedoch gibt es einige Kindergärten, die entweder direkt am Waldesrand liegen und den Wald häufig als Lernort nutzen oder über einen eigenen Garten verfügen, den sie bepflanzen und die Früchte ernten und verarbeiten. Dazu zählen zum Beispiel die Integrative Kindertagesstätte Lennéstraße in Sudenburg, die Kindertagesstätte Friedensweiler oder auch die Kindertagesstätte „Little Giants – Kleine Riesen“ in Ottersleben.
Noch lang haben wir uns nicht allen pädagogischen Ansätzen gewidmet, die bei der Erziehung der Kinder angewendet werden, so gibt es zum Beispiel noch die lebensbezogene, die situative oder die Reggio-Pädagogik. Für den Laien sind die feinen Unterschiede der einzelnen Ansätze auf den ersten Blick allerdings oft nur schwer zu erkennen. Hinzu kommt, dass viele Träger sich ihr Konzept einfach aus mehreren Ansätzen zusammenstellen. Als Orientierung gilt allerdings für alle das Bildungsprogramm „Bildung: elementar – Bildung von Anfang an“, das vom Ministerium für Gesundheit und Soziales ausgearbeitet wurde. Grob lässt sich sagen, dass das Kind dabei stärker im Mittelpunkt steht als zuvor und gezielter individuell mit dem Nachwuchs gearbeitet wird. Kein Kind soll über- oder unterfordert werden. Die genaue Umsetzung des Bildungsprogramms ist dann allerdings wieder Auslegungssache der einzelnen Kitas.
Einige Kindergärten verfügen zum Beispiel über eine Kinderverfassung, die sicherstellen soll, dass die Kinder gehört und ihre Entscheidungen ernst genommen werden. Auch das möglichst altersunabhängige arbeiten mit den Kindern wird empfohlen. René Seidler, Erzieher im Kindergarten Spielkiste, hält das für sinnvoll. „Die Kinder in einer Altersstufe sind teilweise ganz unterschiedlich entwickelt. Ich finde, das Kind muss die Chance haben, sich selbst einzuordnen.“, sagt er. Frau Skowronek vom Kinder-Eltern-Zentrums Nordwest ist hingegen der Meinung, dass es sich in altersreinen Gruppen besser und intensiver mit den Kindern arbeiten lässt. Beide haben wir gefragt, wie sie sich eine Kindertagesstätte in Zukunft vorstellen. Frau Skowronek wünscht sich eine Art Zentrum, von dem, wie eine Bienenwabe, verschiedene Teilbereiche abgehen. Die große Anzahl der Kinder soll so weniger in großen Gruppen miteinander agieren müssen, sondern stärker auf kleinere Gruppen verteilt werden können, damit es für alle ruhiger und entspannter wird, sich in der Kita aufzuhalten.
„Extra Räume zum Bewegen, zum Kreativ sein, Essen und Ausruhen und, und, und … mit kleinen Spielinseln dazwischen wäre schön.“, beschreibt Heidrun Skowronek ihre Vorstellungen. Die Kita von René Seidler verfügt bereits über solche Funktionsräume, wie ein Forscherlabor, einen Raum für Bewegung, einen Raum für Ruhe und Rückzug, einen Ideen-Kreativraum, eine Cafeteria, eine Kinderküche oder eine Freiluftwerkstatt. Er wünscht sich hingegen ein Familienzentrum. Denn nicht nur die Kinder sollen sich in der Einrichtung wohlfühlen, auch die Eltern sollen hier gemeinsam mit den Kindern die Möglichkeit haben, sich auszuprobieren und Zeit miteinander zu verbringen. „Viele Kinder sind an die zehn Stunden hier. Das ist eine lange Zeit. Ich finde, die Eltern sollten wissen, was ihre Kinder in dieser Zeit bewegt und als Experten für ihre Kinder noch stärker in unsere Arbeit einbezogen werden.“, sagt Seidler. Er rät Eltern generell dazu, sich eine Wunsch-Kita im Vorfeld genau anzugucken. Denn auch das schönste Konzept steht und fällt mit dem Einsatz der Personen, die sich um die Umsetzung kümmern. (kp)
(Stand Oktober 2017)