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Schulkinder
Andrea Wenskat ist in Magdeburg Lehrerin für Mathematik und Physik. Sie hat bereits an Schulen mit verschiedenster Ausrichtung gearbeitet und erzählt uns, was sie vom aktuellen Schulsystem hält.
An welchen Schulen haben Sie bereits gearbeitet?
Ich war auf dem Gymnasium, der IGS, einer Privatschule und auf einer Europäischen Schule in Luxemburg. Dabei habe ich festgestellt, dass jede Schule ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Gymnasiasten sind zum Beispiel sehr leistungsorientiert, Realschüler machen auf mich eher einen kumpelhaften und pragmatischen Eindruck und die Kinder in der Privatschule waren empathischer und emotionaler als an anderen Schulen. In der Europäischen Schule spielte auch die Mentalität, die die Schüler aus ihren Herkunftsländern mitbringen, eine große Rolle. Die Dänen duzen ihren Lehrer zum Beispiel gern, ohne dabei den Respekt zu verlieren. Die Franzosen sind sehr strebsam und hinterfragen weniger, während die Italiener es als ganz normal empfinden, auch mal ein bisschen später zum Unterricht zu erscheinen.
Was sind für Sie die wichtigsten Eigenschaften, die man einem Kind mit auf den Weg geben kann?
Sozialkompetenz, Eigenverantwortlichkeit, Selbstbewusstsein, Gesundheit, …. Diese Liste könnte man natürlich noch beliebig fortführen. Ich denke, die genannten Eigenschaften sind aber wichtig, damit Kinder ein unabhängiges Leben von den Eltern führen können. Diese Abnabelung passiert aktuell immer später.
Woran liegt das?
Vielen Eltern fehlt, meiner Meinung nach, der Instinkt dafür, was den Kindern wirklich guttut. Das hat auch mit unserer schnelllebigen Zeit zu tun, denke ich. Auch Eltern sind nur Menschen, die mit den Dingen, die auf sie einströmen, umgehen müssen. Es ist eine große Hilflosigkeit da und ein Kontrollzwang in Bezug auf die Kinder. Außerdem spüre ich einen zunehmenden Verlust von Empathie und Pflichtbewusstsein. Viele schauen, was machen die anderen falsch und nicht, was machen sie richtig. Man selbst muss dabei immer der Beste sein und vergleicht sich dafür stets mit anderen.
Fällt Ihnen ein typisches Beispiel ein, was ihre Erklärungen untermauert?
Viele Eltern machen die Hausaufgaben mit ihren Kindern, das ist so eigentlich gar nicht gedacht. In der Regel sollten die Kinder ihre Aufgaben allein bewältigen können. Das stärkt ihre Eigenverantwortlichkeit. Fehler zu machen ist dabei völlig okay. Es ist nur wichtig, diese nicht als Strafe, sondern als aktuelle Grenze zu betrachten. Die Kinder haben nicht absichtlich schlechte Noten oder verhalten sich auffällig.
Die Gründe für schulische Probleme sind vielfältig. Man muss einfach anfangen darüber nachzudenken, was man tut und wie sich das auf den anderen auswirkt. Kommunikation ist dabei ganz wichtig. Wenn die Kinder begreifen, dass sie selbst dafür verantwortlich sind, was sie lernen, sie sich von den Erwartungen lösen und ihr eigenes Ding machen, dann haben wir viel erreicht. Den Kindern wird viel zu wenig zugetraut, was sie negativ in ihrer Entwicklung beeinflusst.
Hat sich der Leistungsdruck auf die Kinder in der Schule erhöht?
Es herrscht da aktuell eine falsche Prägung. Schule scheint nur was Wert, wenn das Kind auf das Gymnasium geht. Selbst die Qualität des Lernerfolgs in den einzelnen Bundesländern wird über die Leistung der Gymnasiasten gewertet. Das finde ich sehr seltsam. Es drängen also viele Schüler auf das Gymnasium, dadurch lässt das Bildungsniveaus dort nach. Auch die Schüler, die es nicht auf das Gymnasium schaffen, haben nichts davon, weil die etwas besseren Schüler nicht mehr da sind, die sie früher mitziehen konnten. Das auffällige Schülerverhalten wirkt sich wiederum auf die Qualität des Unterrichts aus. Und schon meckert die Wirtschaft am schlechten Bildungsniveau rum und der Druck steigt weiter.
Wie sehe denn Ihr Idealbild von einer Schule aus?
Für mich ist das eine Schule in der Kinder gerne lernen. Die Kinder müssen das Gefühl haben, den Lernstoff auch bewältigen zu können. Auch die Lehrer müssen gerne in die Schule gehen. Vertrauen, Respekt und ein wertschätzender Umgang sind von allen Seiten wichtig, auch von Seiten der Eltern.
Hat sich in den letzten Jahren da etwas in die richtige Richtung bewegt?
Die Vielfalt der Schulformen ist gewachsen. Mehr Menschen fühlen sich verantwortlich, Konzepte für besondere Interessen oder Bedürfnisse zu öffnen. Durch die neuen Konzepte, werden auch Angestellte an staatlichen Schulen wachgerüttelt. Das finde ich gut. Denn mehr Projekt- und Gruppenarbeiten sowie eine stärkere Selbstreflexion, halte ich für klug.
Allerdings ist die Umsetzung gar nicht so leicht, das merke ich selbst. Wir Lehrer haben dafür einfach kein festes Konzept, auch wenn es in den Rahmenrichtlinien festgehalten ist, einen offenen Unterricht anzubieten. Die Ausarbeitung solcher Stunden kostet mehr Zeit und Kraft. In Zeiten des Lehrermangels, in denen sowieso schon viele überlastet sind, ist das schwierig. Lehrer beziehen ihre Schüler auch zu wenig in die Themenauswahl ein. Dabei ist es wichtig, dass die Themen die Schüler reizen und ihre natürliche Neugier wecken. (kp)